Das Denken darüber, Arbeit und das (Privat)Leben nebeneinanderzustellen und zu vergleichen, hat Ursprünge in der Geschichte der Arbeit der letzten zwei Jahrhunderte. Die massenhafte Ausbeutung von Menschen zu Beginn der industriellen Revolution, die eine verständliche Forderung nach einem Schutz des Lebens außerhalb und innerhalb der damals brutalen und menschenverachtenden neuindustriellen Arbeitswelt implizierte und hart erkämpft werden musste, ist der Beginn dieser differenzierenden Denkweise.
Vielschichtiger und komplexer wurden die Arbeitswelt und damit das Leben der Arbeitnehmer durch die einsetzende Digitalisierung unserer Arbeitswelt zu Beginn der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Die nun rasant einsetzenden technologischen Fortschritte sind zumindest theoretisch so gedacht und konzipiert worden, dass sie das eigentliche Arbeiten wesentlich vereinfachen, Arbeitsprozesse effizienter machen und den Arbeitnehmern als Nebenprodukt Zeit geben, sich um ihr persönliches Leben zu kümmern - Familien, Ferien, Hobbys, persönliches Wachstum. Und die heutige Realität? Dieser Ansatz hat bekannter Weise nicht so ganz geklappt wie erhofft - eine Entwicklung, die einer gewissen Ironie nicht entbehrt: der technologische Fortschritt nimmt exponentiell zu, aber die Arbeitnehmer sind heute so gestresst wie eh und je. Zum heilsversprechenden Gral wurde die daraufhin verstärkte Diskussion über „Work-Life-Balance“ – ein Begriff, der erheblich an Bedeutung in der Fachwelt durch Forschung und dem Auftreten massiver psychologischer Probleme in der Arbeitswelt der Industrienationen bekam. Aber wir treten mit der so wichtigen Diskussion um die „Work-Life-Balance“ und den Versuchen, diese in den Griff zu bekommen, auf der Stelle. Trotz allem Fortschritts und der noch nie dagewesenen Menge an freier Zeit scheint, dass es immer noch eine massive Unverhältnismäßigkeit zwischen Belastung und Entlastung gibt. Irgendetwas scheint da also nicht zu funktionieren und sich der Diskussion und den Versuchen, ein Gleichgewicht herzustellen, zu entziehen. Und das liegt unter anderem an kategorisierenden Denkmustern. Wir Menschen lieben Kategorien. Kategorien machen das Denken einfach. Das hilft aber nicht. Und zu diesen kategorisierenden Denkmustern gehört der Begriff „Work-Life-Balance“, der in sich schon so falsch ist, dass es dringend Not tut, diesen grundsätzlich zur Diskussion zu stellen. Falsches Denken 1: es gibt „Work“ und es gibt „Life“ Themaverfehlung, setzen, sechs! In meinen Augen grundsätzlich daneben. Ich denke anders: Arbeit ist ein wichtiger Teil des Lebens! Der Begriff der "Work-Life-Balance" trennt plakativ und damit auch werbewirksam zwei Bereiche, die so nicht getrennt werden können und zementiert damit das typische Denken vieler Menschen, die nur außerhalb der Arbeit das „echte“ Leben suchen. Ein Phänomen, das auch der Spruch „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ versinnbildlicht. Und reflexartig jeden Freitag in deutschen Radiostationen den Drang auslöst, in aufgesetzter Gute-Laune-Manier das herannahende Wochenende als temporären Freigang von der sklavenhalterischen Arbeitswelt zu feiern, ein Hort des „Endlich-leben-könnens!“. Und wir programmieren uns tagtäglich selber - denken Sie doch einfach nur mal an die Tassen in Ihrer Teeküche und selbstausgedruckten, oft schon vergilbten Blätter an der Wand der Büros mit arbeitsverachtenden Sinnsprüchen mehr oder weniger humorvollen Inhalts (wie den Spruch oben), um uns Hoffnung auf ein Leben nach der Arbeit zu machen… Traurig, nicht? Wir sind anfällig für diese Art der Denke, weil wir Arbeit als solche nicht als Teil unseres Lebens akzeptieren und keine Verantwortung dafür übernehmen wollen. Aber Arbeit ist nicht das Gegenteil, sondern ein integraler Bestandteil des Lebens! Ohne ein Tun verkümmert der Mensch. Arbeit ist kein Fehler, den wir durch ein komplementäres Ausweiten und Distanzierung des Privatlebens von der Arbeit ausgleichen, in ein Gleichgewicht bringen und damit ausbügeln müssten. Wie Familie, Hobby und Gesundheit hat die Arbeit Momente, die uns beglücken, uns zufrieden machen und Zeiten, die uns mit Sorgen belasten. Diese Momente bestimmen unser Leben und sind Teil eines wunderbaren Prozesses, den wir „persönliche Entwicklung“ nennen. Falsches Denken 2: Es ist möglich, ein beständiges Gleichgewicht („Balance“) zwischen „Work“ und „Life“ herzustellen. Mal abgesehen davon, dass man keinen Zustand zwischen zwei Bereichen herstellen kann, die per definitionem nicht gegenübergestellt werden können: Gleichgewicht ist kein immerwährender Zustand. Vergessen Sie’s einfach. Eine Stasis des Gleichgewichtes im Lebensglück war und ist einer der maßgeblichsten Träume des Menschen, ist aber nicht natürlich und Gleichgewicht daher immer flüchtig. Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen Lebenszustand erreicht, wo sich alles in einem perfekten Gleichgewicht befindet: Arbeit, Familie, Sport, Gesundheit. Das Glück strahlt wie Sonnenschein über einer palmengesäumten Strandidylle einer karibischen Bucht… Schön, nicht? Aber leider Illusion. Der nächste Sturm wartet immer um die Ecke und ein Seeigel im Wasser. Wir müssten also diesen Moment einfrieren können und keiner und nichts dürfte sich jetzt in diesen Zustand einmischen. Und ich sage ganz bewusst Zustand. Nicht Leben. Denn Leben bedeutet stetige Veränderung. Bewegt sich nichts mehr, nennt man diesen Zustand Tod. Leider fällt es dem Menschen in unserem Kulturkreis immer noch schwer, Veränderung als die einzige Konstante im Leben zu begreifen. Tritt keine Veränderung mehr ein, wird auch jede Möglichkeit der Verbesserung, der Weiterentwicklung und Entdeckung unterbunden. Persönliche Entwicklung bedarf eines steten Inputs durch Spannung, Gegensätze, Kontraste, die uns zum Denken und Fühlen anregen, Neugier erzeugen, Unglück überwinden lassen und unser Streben nach immer Besserem lebendig halten – und in der Veränderung das Glück zu suchen. Wie bei vielen problematischen Phänomenen unserer Gesellschaft bedarf es also einer grundsätzlichen, tiefen Diskussion und Veränderung in der Art und Weise unseres Verständnisses dieser Thematik und des Lebens. Ein Label "Work-Life-Balance" draufzupappen, um dann mit dem Befolgen eines „10 Schritte, um Ihre Work-Life-Balance in den Griff zu bekommen“-Artikels alles zu richten und glücklich zu werden, funktioniert also nicht. Vielmehr muss man Bewusstsein dafür schaffen, dass die Arbeit Teil dessen ist, was wir unser Leben nennen, welches sich ständig verändert, damit wir uns weiterentwickeln dürfen. Es ist deswegen auch ein so unglaublich vielschichtiges Thema, kaum befriedigend in einem kleinen Artikel abzuhandeln. Aber für den Anfang könnte man versuchen, einen neuen Ansatz verfolgen: anstatt komplementäres Denken zu pflegen und verzweifelt das „Life“ als Gegengewicht zur „Work“ auszurichten, behandeln wir doch die Arbeit, wie wir unsere Familie, unser Hobby und uns selbst behandeln sollten: mit Liebe, Würde, Wertschätzung, Neugier und Gleichmut. Nehmen wir die Arbeit mit offenen Armen an und heißen sie in der Familie der Lebensbereiche willkommen und akzeptieren die Dynamik dieser Familie, um sie dann beobachten und regulieren zu können. Und als ersten Schritt dazu plädiere ich dafür, schon zu bei der Begrifflichkeit damit anzufangen und der „Work-Life-Balance“ den fast schon altmodischen Ausdruck der „Lebensqualität“ entgegenzustellen und wieder zu neuen Ehren zu verhelfen. Er schließt die Arbeit vom Leben nicht aus, er integriert diesen Aspekt und wertschätzt ihn. Michael Schölz
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Morgens, irgendwo in Homeoffice-Deutschland: man sitzt endlich am Arbeitstisch und hat hier und da ein wenig planlos rumgetippt und Emails beantwortet – plötzlich fällt einem ein, dass man sich noch vielleicht in der Küche mit etwas Leckerem versorgen könnte. Man reißt den Kühlschrank auf und studiert den Inhalt mehr gelangweilt als interessiert. Denn eigentlich will man ja nix futtern. Also setzt sich wieder hin. Und surft ein bisschen…
Ehrlich: Das ist mir letzte Woche wieder mal des öfteren passiert. Typischer Fall von Prokrastination. Vermeidungsstrategie. Ich hasse das an mir. Aber das kennt jeder. Nicht nur im Homeoffice. Die Ursachen der Prokrastination sind vor allem Unsicherheit hinsichtlich der Aufgabenverteilung und Priorisierung, komplexe oder fehlende Arbeitsorganisation und Multifokus – etwas, was immer noch zu viele Menschen propagieren. Glauben Sie mir, das Gehirn ist einfach nicht dafür gebaut viele Dinge GLEICHZEITIG bewusst zu verarbeiten und in bewusste Handlung umzusetzen. Das geht einfach nicht. Sie glauben das bloß, weil sie viele Dinge in sehr kurzer Zeit machen (ob diese auch gut, sei dahingestellt) und dies suggeriert, das finde alles gleichzeitig statt. Tatsächlich machen sie alles nacheinander. Warum? Weil das Gehirn ansonsten zu viel Informationen bewusst verarbeiten müsste. Dafür ist es nicht gebaut. Deswegen werden so viele Sinneneindrücke UNBEWUSST verarbeitet. Versuchen Sie mal die Tasse Tee gleichzeitig zu riechen, zu schmecken, auf die Geräusche im Raum zu achten und diesen Text konzentriert zu lesen… Also: Multifokus ist eine Lüge und Multitasking ist ineffizient. Es wird zwar viel gearbeitet, aber wenig geleistet. Was ist also notwendig, um Prokrastination zu unterbinden und damit effizient arbeiten zu können? Ganz einfach: Klarheit schaffen, sinnvoll priorisieren, Multifokus unterbinden und dafür eine sehr einfache Methode verwenden. Ich liebe einfache Dinge. Und hier hat Ivy Lee vor einem Jahrhundert eine schöne Möglichkeit gefunden, um genau diese Thematik anzupacken. Ich mag Ivy Lee und seine Idee sehr – aber ich erspare mir hier die Geschichte dieser Methode, diese können Sie auf Wikipedia und vielen anderen Texten nachlesen – ich möchte lieber helfen und gleich zum Punkt kommen. Wie geht man also vor?
Einfachheit: Sie ist einfach und damit auch schnell umzusetzen. Komplexe Strategien und ellenlange ToDos sind schwerer zu verarbeiten - und man kommt morgens einfach leichter in die Gänge. Klarheit: Es geht nicht darum, alle Punkte der Liste in einem gewissen Zeitrahmen befriedigend zu erledigen, sondern zu verstehen, was wirklich wichtig ist und getan werden muss. Motivation: Es ist einfacher, die nächste Aufgabe zu lösen, wenn man einmal angefangen hat – es gibt mit der Erledigung eine Art Dynamik… Und: durch die Klarheit in Visionen, Zielsetzungen und Anliegen schaffen Sie auch Klarheit über Ihre Motivation, die Aufgaben umzusetzen. Fokus: Man wird gezwungen, sich nur auf eine Aufgabe zu konzentrieren und ist damit produktiver und erfolgreicher. Multifokus wird also vermieden und die Effizienz der Arbeit gesteigert. Priorität: Durch gezielte und wiederholte Prioritätensetzung werden die Aufgaben bearbeitet, die wirklich angepackt und abgeschlossen werden müssen. Probieren Sie es einfach mal aus. Und jetzt muss ich mir und Ivy eine Tasse Tee kochen. Vor der nächsten Aufgabe. Michael Schölz |
AutorDipl. Ing. Karl Michael Schölz Archiv
October 2020
Alles, was gegen die Natur ist, hat auf Dauer keinen Bestand. |